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Persönliches • Warten. Auf bessere Zeiten. Oder Leben?

Persönliches • Warten. Auf bessere Zeiten. Oder Leben?

better moments

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„Worauf wartest du?“, fragt er mich. „Auf bessere Zeiten“, antworte ich und starre ins Nichts oder auf den Horizont oder irgendwo tief in mich hinein. Nur nicht auf das Buchungsformular, das neben mir liegt. „Später“, sage ich, als er mich fragend anblickt. „Später. Wenn ich mehr Zeit habe.“

Könnte man für Situationen im Leben Hashtags vergeben, würden solche Momente definitiv #storyofmylife verdienen. Das Wort später habe ich für mich gepachtet, als wäre es nur für meinen Wortschatz bestimmt. Manchmal habe ich das Gefühl, mein Leben besteht nur aus warten. Warten bis das Wetter schöner ist, damit ich den neuen Rock anziehen kann. Warten bis ich 5 kg abgenommen habe, bevor ich mir die Hose kaufe. Warten bis ich 10 km unter einer Stunde laufe, bevor ich mich für einen Halbmarathon anmelde. Warten bis ich nicht mehr traurig bin, bevor ich auf die Wohnungs-Einweihungsparty von Freunden gehe. Aber was, wenn das schöne Wetter nicht kommt und der Rock ungetragen im Schrank bleibt? Wenn die 5 kg einfach nicht runter wollen und es die Hose schon lange nicht mehr gibt? Wenn die Laufsaison vorbei ist und die Freunde schon längst in einer andere Stadt gezogen sind?

Werde ich irgendwann einmal sagen, dass ich genug gewartet habe? Dass es jetzt Zeit ist zu leben? Dass es eigentlich scheißegal ist, dass ich 5 kg zuviel für Shorts habe, aber sie trotzdem trage? Zaghaftigkeit oder Vollgas ohne sich zurückzuhalten? Ohne Bremse, ohne doppelten Boden, ohne Rückflugticket? Ich beneide euch alle da draußen um eure Fähigkeit, einfach zu leben. Darum, dass das Wort warten nicht euer bester Freund ist, dass ihr es nicht von allen Seiten beleuchtet, vor eurem inneren Auge dreht und wendet, bis ihr jedes Detail auswendig kennt. Ich würde mich in den Abgrund stürzen, die Arme ausbreiten. Aber ich kann es nicht. Ich warte darauf, bis ich den Mut habe zu springen.

„Irgendwann wird es zu spät sein“, flüstert er. „Ja“, flüstere ich zurück. Er dreht sich um und geht. Ich warte, dass er zurück kommt. Vielleicht tut er es. Vielleicht nicht. Eigentlich möchte ich aufspringen und ihm nachlaufen. Aber diesmal habe ich vielleicht zu lange gewartet.

Manches im Leben würde ich gerne ändern können. Auch wenn es zum Teil nur kleine, unbedeutende Dinge betrifft, ich wäre gerne unbeschwerter, lockerer. Aber wenn man perfektionistisch ist wie ich, klingt sowas leichter als es ist. Trotzdem nehme ich mir vor ab und zu einfach ein „Ist-mir-jetzt-egal-Gefühl“ zu entwickeln. Vielleicht unwichtigere Arbeit am Freitag Nachmittag liegen lassen und mit meiner Freundin ein Eis essen gehen. Den kürzeren Rock anziehen, obwohl ich mit meinen Beinen (noch?) nicht zufrieden bin. Kleine Dinge, bei denen ich nicht das Gefühl habe, gleich alles umkrempeln zu müssen. Geht es euch vielleicht so wie mir? Habt ihr auch manchmal das Gefühl, das Leben mit warten zu verschwenden?

Vogel-animation

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19 comments

  1. Das hast du so toll geschrieben und ist eine echt Inspiration. Und ich kenne das… „Mach ich später“… „ach warum denn jetzt? Geht ja dann auch noch“…“Wenn es später noch so ist/ich das will/etc., dann soll es so sein, aber nicht jezt!“
    Ich kann das wirklich nur allzugut nachvollziehen und danke dir für diesen tollen Post, denn er regt wirklich zum Nachdenken an! Danke!

  2. Ich gestehe, mir geht es genauso, mal mehr, mal weniger… Irgendwie bremst man sich selbst so aus für – nix letztlich… Ja, klar, man könnte auch einfach machen, ohne lange zu überlegen. Aber wenn es für einen so einfach wäre, wäre es nicht so schwer 😉
    Danke für Deine Offenheit!

  3. ja, da können wir uns die Hand geben!

  4. Was für ein wunderbarer, poetischer Post!
    Ich kenne das Gefühl, immer auf irgendetwas warten zu wollen oder zu müssen. Aber vor allem im letzten Jahr habe ich gelernt, dass es oft nicht besser wird, wenn man wartet, und jetzt lebe ich einfach. Ohne groß über alles nachzudenken. Und es geht mit großartig damit!

  5. Ich kann deine Gedanken sowas von gut nachvollziehen. Ich warte auch, ständig auf irgendwas, auf später, morgen oder sonst wann.
    Deshalb habe ich dieses Jahr einfach die Reise nach NY gebucht, die ich schon eine Ewigkeit machen wollte und dort einfach geheiratet. Ich wollte nicht mehr auf wenn… dann oder irgendwas warten. Und es hat sich unglaublich gut angefühlt. Warten ist nutzlos, denn das, auf was wir warten, kommt nie.

  6. Sehr schöne Worte, die mir extrem bekannt vorkommen. Bei mir kommt immer noch das ewige „aber was, wenn…“ dazu, das macht die Sache auch nicht besser…

  7. Sehr schön geschrieben, liebe Vicky! Und ja, auch ich kenne solche Gedanken von mir.. Ich bin ebenfalls ein Mensch, der sich gern zerdenkt, bevor er irgendwas macht. Nicht immer so einfach mit mir selbst, wie ich es gern hätte. 😉

    Liebe Grüße,
    Evi

  8. Bei mir gibt es kein warten mehr. Es gibt das hier und jetzt. Vielleicht gibt es kein später…

  9. Oh wow. Dieser Text könnte von mir stammen, wirklich. Danke für deine Gedanken, die du so wunderbar geschrieben hast!

  10. Schön geschrieben – ich warte auch immer, dass der „richtige“ Zeitpunkt kommt – manchmal nie, was nicht i immer schlecht sein muss 😉
    Ich beneide so entscheidungsfreudige Menschen, die einfach machen, ohne darüber nachzudenken, was nicht vielleicht schief gehen könnte.
    Ich denke aber auch, dass manche Dinge ihre Zeit brauchen um zu „reifen“ und als Perfektionistin, wiedu selber sagst, kannst du dann vl zufriedener mit dir sein mit dem was du machst als etwas zu überstürzen und dann nicht dahinter zu stehen 😉

  11. Sehr schöner Text! Das „Warten“ habe ich aufgegeben – es ist wirklich belastend und man verpasst das Leben während man auf irgendetwas Wartet. EInfach machen! Beim Thema Reisen fällt es mir besonders stark auf. Wie oft höre ich… „…ich warte bis zur Rente, dann habe ich Zeit!“ Ne – jetzt machen! Jetzt erleben und daran erfreuen! Später kann man vielleicht gar nicht mehr. Das Leben ist zu kurz ist zwar ein abgedroschener Spruch, aber er ist wahr!!!! Ich warte jetzt nicht auf besseres Wetter, sondern gehe in die Stadt und mache meine Besorgungen, die ich geplant habe 🙂

  12. Ein schöner, berührender und mutiger Artikel. – Mir geht es auch so, obwohl ich jeden Tag mit Menschen arbeite, damit Ihr Leben diesbezüglich anders wird. Und für andere ist das so viel einfacher. In kleinen Schritten schaffe ich es auch… ich wurde weniger pflegeleicht, etwas schwierigier und manche Menschen halten mich inzwischen für unzuverlässig, weil ich nicht mehr gut darin bin, mich regelmäßig zu melden und weil man recht wenig von mir mitbekommt. Mir tut das aber ganz gut.
    Jetzt heißt es nur noch auf der anderen Seite schauen, dass ich mir zwar Zeit und Energie freischaufle, sie aber nicht in Arbeit stecke… Wann fängt Leben an? Eigentlich jetzt. Keiner von uns weiß, ob er morgen schwer krank ist oder etwas passiert. Wir hamstern fleißig, um für den Winter gerüstet zu sein, von dem wir nicht wissen, ob und wann er kommt. Wie viel Hamstergut reicht aus? Ab wann dürfen wir ausatmen, die Sonne auf der Nase haben und uns wohlfühlen? Darf ich weniger arbeiten? Bin ich dann faul? Muss ich vorher ganz, ganz viel arbeiten, damit ich dann sagen darf „50% reicht auch“?

    Ich arbeite innerlich glaube ich an den gleichen Dingen wie Du… Gelöst habe ich sie noch nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass es eine schöne Tendenz gibt und geben wird. Hoffe ich. Wie viel reicht wirklich? Was brauche ich zum Leben und was fürs Alter. Und nicht mehr. Ich will kein Hamster sein.

  13. Welcome to my life sage ich dazu nur!
    ich warte auch auf so vieles und ärgere mich oft darüber!! gerade was das Lernen betrifft oder dein Beispiel mit den Shorts, da kann ich ganz laut hier schreien!! Dabei ist das so dumm, wenn wie Saskia schon geschrieben hat: Wer weiß ob es ein Morgen gibt!!

  14. Toller sehr offener Text. Ja manchmal geht es mir auch so. Man überlegt manchmal einfach zu viel. Wieviel Zeit darf man sich nehmen? Wieviel kann man sich nehmen? Gerade auch was Shelynx bzgl der Arbeitszeit sagt kann ich gut nachvollziehen.

  15. carla-sophie says:

    Wie oft gehst du zum Sport? Mehrmals wöchentlich nehme ich an!
    Weißt du was: Du tust da schon enorm viel. Du hast dein SOLL diesbezüglich erfüllt.

    Ich vermute: Deine Beine sind wie sie sind und du kannst durch Sport das Maximum rausholen, du wirst mit ihnen aber nie zufrieden sein. Du bist jung, sportlich und hast alles in allem eine SEHR GUTE FIGUR.

    Du würdest vermutlich nicht für deine 2 Meter Modelbeine bewundert werden – in Shorts auf der Strasse.
    Es würde dich aber auch niemand anstarren und sich denken: Was macht die denn da? Vermutlich würdest du einfach gar niemandem wegen deiner Beine auffallen. Weil die einfach normal aussehen.

    Aber vielleicht deswegen, weil dein Gesamtbild toll aussieht – weil das Outfit schön ist, du hübsch geschminkt bist etc…

    Wieso bist du selbst so hart zu Dir, wenn niemand ansonsten so hart zu dir ist oder über dich urteilt?

  16. Sehr schön geschrieben!! Du schreibst mir aus der Seele. Was ich im Leben schon an mir vorbeiziehen hab lassen weil ich den richtigen Moment abwarte möchte ich gar nicht wissen…

  17. ich habe gerade eine träne im auge….
    das hast du wunderschön geschrieben. fast jedes wort könnte ich 1:1 auf mich ummünzen.
    weißt du was? ich lerne gerade loszulassen, abzugeben, zu leben.
    scheiß auf die 5 kg, geh lieber das eis essen…
    scheiß auf die 10 km unter einer stunde, du schaffst immerhin 10! das werde ich z. b. nie.
    leb.
    zieh die kurze hose an.
    du wirst sehen, es fühlt sich gut an.
    lass los, was dich zurückhält zu leben…
    alles liebe.
    y.

  18. ich habe in etwa 26 jahre meines lebens mit warten verschwendet, bis ich geschnallt hab, dass – ganz ncah Sir Peter Ustinov:“ jetzt die gute zeit ist, nach der wir uns in 10 jahren zurücksehnen.“ es war ein langer, steiniger weg, bis ich es geschafft habe, manches locker zu sehen. JA, ich würde immer noch gern 10kg abnehmen – aber mir deswegen jedes essen zu versauen, das ich sowieso trotzdem esse? nein danke. klar, es würde mir besser gehen, wenn ich mich nicht mit einer dauerschmerzenden schulter rumschlagen müsste – aber es gibt trotzdem genügend lebenswert momente. schöner wäre es, würde nicht jeden tag um 6 der wecker läuten und ich könnte stattdessen mit freunden den vormittag beim brunch verbringen – but that’s not how it is, so I go for dinner 🙂

    ich wünsche dir alles gute, dass du über das warten auch irgendwann hinwegkommst. man rutscht immer wieder rein, aber die episoden, in denen man die lebenswerten momente auch empfindet, werden länger. #100happydays-projekte und ähnliches haben mir dabei geholfen.

  19. Sehr schöne Worte, die ich mehr als nachvollziehen kann.

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